Essay

 

Mit fotografischer Qualität

gegen die Flüchtigkeit der Masse

 

 

Flüchtige Massenware erkennen

 

Wir sind von medialen Bildern reizüberflutet: Soziale Netzwerke, Webseiten aller Art mit Bildergalerien und Verkaufportale überschwemmen das Betrachterauge; daraus resultiert die zentrale Frage, was künstlerische Fotografie überhaupt leisten muss, um als sinnvolles Gegengewicht zur Massenbildproduktion zu bestehen.

 

Die vorrangigste Aufgabe ist, den Betrachter von der Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit des Massenbildes abzubringen, ihn qualitativ zu sensibilisieren. In diesem Weckruf liegt gleichzeitig auch die größte Schwierigkeit.  Ist heute die Möglichkeit dieses Zugriffs nicht vielleicht von vorn herein aussichtslos?

 

Mit technischen Raffinessen in Digitalkameras und Mobiltelefonen werden den fotografischen Konsumenten Leckerbissen vorgeworfen, welche großartige Ergebnisse suggerieren. In jeder Situation, von allem und jedem Abbildungen machen zu können, diese mit anderen zu teilen, und all das immer dabei und abrufbar zu haben, lockt den Menschen an wie das Licht die Motten. Genau an dieser Stelle beginnt der Sog der Masse und der Untergang des Bildes in die Bedeutungslosigkeit. Das Bildgut verfällt oftmals direkt nach der Aufnahme in seinem Wert bis in den Bereich der Nichtigkeit. Die technischen Werte der Aufnahmegeräte suggerieren den Konsumenten unterdessen, fotografisches Wissen, Erfahrung und handwerkliches fotografisches Geschick gleich mitgekauft zu haben. Da sich die Welt der Fotografie nun auf einen Mikrochip reduziert braucht der Consumer also nur noch die Linse in die Welt zu halten, und schon sprudeln "perfekte" Bilder aller Art in die Aufnahmegerät.

Die unmerkliche Reizüberflutung von Auge und Gehirn durch den einfach gewordenen bildnerischen Massenkonsum lässt allerdings auch das Verlangen nach dem Besseren in kürzester Zeit abstumpfen. Dies kommt einem Teufelskreis gleich, der ein künstlerisches Sichtfeld von vorn herein verhindert. Denn kaum jemand verschwendet noch einen Gedanken daran, dass immer noch der Fotograf das Bild macht und die Kamera lediglich als Werkzeug fungiert. Man kann also diese Art des Anschauens und Produzierens bald schon mit dem Alkoholismus vergleichen, bei dem letztlich auch nicht mehr der Qualitätsgenuss zählt, sondern nur noch die Menge im Focus steht.

 

Der Rückschluss aus künstlerischer Sicht funktioniert freilich nicht nach dem mathematischen Prinzip einer Gleichung. Wer sich auf qualitativ hochwertiges Bildmaterial versteht kann dieses nicht automatisch auch produzieren. Meistens werden hier fehlende Mittel als Ursache hervor gebracht, obwohl es in erster Linie das Handwerksgeschick vermissen lässt. Die fotografische Verantwortung wird auch hierbei unmittelbar auf die Technik abgeschoben.

 

 

Die Tücke der Technik


("Talent ist wichtiger als Technik" , Andreas Feininger, 1906-1999)

 Die Grundlage für die Erschaffung nachhaltiger Bilder ist das Bewußtsein über die Arbeitsweise der Aufnahmegeräte. Gerade die heutigen Digitalkameras besitzen die Eigenschaft, an einem Bild alles „richtig“ machen zu wollen. Aus den eingehenden Bildwerten entwickelt die Kameraelektronik einen „Durchschnitt“, der möglichst alles auf dem Bild erkennbar halten will. Sie reagiert sozusagen völlig Motivneutral. Überlässt man ihr also das Feld der fotografischen Entscheidungen, ist das Ergebnis nicht mehr als ein Kompromiss aus einer Summe von Messdaten. Sämtliche Charaktereigenschaften einer Fotografie werden egalisiert und im Keim erstickt. Das Bildergebnis kommt also über das Niveau eines schlichten Beweismittels nicht hinaus. Verinnerlicht man sich dieses Verhalten der Technik ist man nicht mehr überrascht über das kameraseitige Bildergebnis, welches oft so gundlegend von dem abweicht, was das Auge uns eben erst noch zugespielt hat. Wer jetzt den Mut und die Leidenschaft mitbringt, den Kampf gegen seine "perfekte" Kamera aufzunehmen und ihr ab sofort die eigene Sichtweise entlocken zu wollen, wird irgendwann mit nachhaltiger Freude über seine geschaffenen Ergebnisse reich belohnt.  

 

 

Betrachten muss man können

 

Dabei ist es bereits ein hohes Gut, allein die mengenbasierte Sichtung gegen eine qualitätsbewusste Betrachtungsweise einzutauschen, was ergo zu einem intensiveren und sinnvolleren Blick führt. Das Hinterfragen des Motivs, das Erkennen von Widerhaken und Bilddetails, die Beurteilung von Farbkontrasten, Schärfelagen, Lichtführungen u.s.w. sind Dinge, welche man sich intensiv aneignen muss. (Hier verweise ich gern auf die Werke alter Meister, wie beispielsweise auf die von Andreas Feininger, Ernst Schwitters und Edward Weston...) Denn auch Anschauen will gekonnt sein! Fortan ist man auf dem Weg, stetig dazu zu lernen und immer sicherer eine Fotografie vom beiläufigen Massenbild unterscheiden zu können.

 

Wehmut über ein mangelndes Geschick zur eigentlichen Bildproduktion sollte indes beim  Betrachter nicht aufkommen. Denn allein schon die Muße zur intensiven Bildbetrachtung, des Einlassens auf das Werk eines Fotografen,  und das daraus folgende Zulassen von differenzierten Ansichten, unterschiedlichen  Interpretationen und Gefühlen, ist ein hohes Gut, welches bei all der Bilderschwemme zunehmend verloren geht. Denn erst beim Betrachter wird aus einem guten Lichtbild ein kleines fotografisches (Sinn- und Kunst-) Werk mit dem ihm gebührenden Status. "An einem Bild sind immer zwei Leute beteiligt: der Fotograf und der Betrachter." (Ansel Adams, 1902-1984)

 

 

Einfach, aber mit Niveau

 

Doch wie ordnen sich nun die Bilder ein, die einfach „nur“ schön und von einfacher fotografischer Struktur sind? Nun, auch diese Bilder haben ihre Berechtigungen, für den Fotografen gleichermaßen wie für den Betrachter. Auch diese einfachen Bilder unterliegen jedoch gewissen Regeln, die für ihre Qualität sehr entscheidend sind. Denn nur so ist es möglich, dass sie sich wohltuend vom breiten Durchschnitt abheben, und dadurch einen Wert erhalten, den es zu archivieren lohnt.

 

So kann die Ablichtung eines feinen Sandstrandes, mit blauem Meer und weißen Kumuluswolken am Himmel schnell einen faden Beigeschmack bekommen, wenn der Horizont beispielsweise deutlich schief verläuft oder Fremdkörper sich unscharf in die Szenerie drängen. Es geht auch nicht darum, soviel wie möglich auf ein Bild zu bekommen. So rückt das eigentliche Motiv womöglich völlig in den Hintergrund. Menschen werden darin oft völlig unscheinbar, weil sie sich unbedingt vor einem pompösen  Hintergrund aufstellen müssen. Weitere Fallstricke sind extreme Unter- oder Überbelichtungen, gekrönt oft mit zusätzlicher Unschärfe, weil man sich getrost auf die technischen Funktionen des Aufnahmegerätes verlassen hat. Man „lässt“ also fotografieren, durch den Druck auf den Auslöser befiehlt man lediglich nur noch, wann.  Der Nutzer lässt sich also im gewissen Sinn fotografisch entmündigen. An den Ergebnissen einer solchen Philosophie wird kein Betrachter seine Freude haben, und er wird bestrebt sein, das Anschauen möglichst zügig hinter sich zu bringen. Ein gewisses Niveau bei der Herstellung ist also notwendig, um zumindest selbst an den Ergebnissen eine länger währende Freude zu haben.

 

 

Aufmerksamkeit ist gefragt

 

Lassen wir uns also nicht das Heft aus der Hand nehmen! Eine traumhafte Kulisse wird nicht entsprechend gewürdigt, wenn das Ergebnis einem beiläufigen Schuss aus der Hüfte gleich kommt. So ein Bild reduziert sich auf das Niveau eines Beweisstücks mit dem man lediglich zeigt, dass man dort gewesen ist. Man hat aber meistens viel Mühe, Geld und kostbare Zeit geopfert, um an jenem Ort zu sein. Die Aufmerksamkeit, die man vom Betrachter nachher für das Anschauen eines Bildes verlangt, sollte man also auch mindestens bei seiner Entstehung aufwenden. Genau hier entwickelt sich letztendlich der Unterschied zwischen konsumgeprägter Flüchtigkeit und individueller Qualität. Gewöhnt man sich eine sorgfältige Vorgehensweise an, lernt man schnell auch das bewusste Sehen, dass der Grundstein für alle fotografischen Aktivitäten ist. Man schult zudem seinen Instinkt für lohnenswerte Motive und Situationen. So schafft man es schließlich auch, dem Betrachter zumindest einen Hauch dessen zu vermitteln, was man selbst am Aufnahmeort gesehen und empfunden hat. Auch für das eigene wiederholte Anschauen haben gut gemachte Fotos die großartige Eigenschaft, schnell die Erinnerungen mit allen Facetten zurückkommen zu lassen. Auch das wiederholte Anschauen ist dann pure Genugtuung; dies ist es doch, was Fotografien bezwecken sollen.

 

 

Die künstlerische Fotografie

 

Der Fotograf Edward Weston (1886 – 1958) vertrat die Philosophie: „Die Kunst muss etwas Lebendiges haben, das sich auf heutige Bedürfnisse oder künftige Hoffnungen bezieht; denen, die zur Reise bereit sind, die reif sind, aber einen Anstoß brauchen, der ihnen die Augen öffnet, neue Wege eröffnet.“ Künstlerische Fotografie ist demnach von vielfältiger Natur, aber meistens prägnant und selten nur Selbstzweck. Der Fotograf lässt sich auf das Motiv ein, muss es sehen, erkennen und verstehen, und hat die Möglichkeit, es von sich erzählen zu lassen, bis hin zur eigenen Interpretation. Er ist sozusagen Vermittler zwischen Motiv und Betrachter und versucht, beide mit dem Medium Fotografie auf eine Linie zu bekommen. Dabei sind für ihn Schwerpunkte wichtig, auf die er ein besonderes Augenmerk beim Ablichten und der anschließenden Ausarbeitung legt. Damit kann er Emotionen aller Art wecken, sofern der Betrachter sich darauf einlässt. Künstlerische Fotografie hat also viel mit intelligentem Verständnis zu tun, sowohl beim Fotografen selbst als auch beim Betrachter, gepaart mit der Leidenschaft für den Ausdruck des Motivs, und mit einer ebenso großen Menge an Gefühl und Hochachtung ihm gegenüber; womit die endgültige Trennung von bedeutungslosen Massenbildern vollzogen wird.      

 

 

Die Wertigkeit der Fotografie

 

Der bedeutende Naturfotograf Anselm Adams prägte einmal den Ausspruch: „Zwölf gute Bilder in einem Jahr sind eine gute Ausbeute“. Obwohl die Fotografie damals noch von hohem logistischem Aufwand geprägt und somit die Anzahl der Fotografien von daher schon begrenzt war, zeigt sich hier vor allem seine offene Selbstkritik. Seine Fotografien sollten den höchsten Ansprüchen genügen. Er war sich seiner Zeit bewusst, dass man den Betrachter nicht mit Unmengen an Bildern beeindrucken konnte, sondern dass jede Arbeit gezielt betrachtet wurde. Kein Fotograf, der etwas auf sich hielt, konnte sich leisten, irgendwelche unausgegorenen Bildchen unters Volk zu streuen. Damit hätte so mancher seine Karriere besiegelt, bevor sie überhaupt begonnen hätte.

Es geht also um die Wertigkeit jedes einzelnen Bildes, welches die Hand des Fotografen verlässt. Jede Fotografie war und ist die unverwechselbare Handschrift des Fotografen. Man gibt mit ihr seine Persönlichkeit preis und spiegelt sein ganzes Wesen wider. Folglich ist sie es wert, in motivgebührender Form ausgearbeitet und betrachtet zu werden. Denn nur so bekommt jedes Bild den Stellenwert, den es wahrlich verdient. So sind zwölf gute Bilder in einem Jahr, die sich der Betrachter mit Freude anschaut und ihrer Qualität seine Anerkennung zollt, immer mehr wert als hunderte von Bildchen, die schon bei ihrer Entstehung zur Bedeutungslosigkeit verdammt sind.  

 

Loblied auf die Fotografie

 

Fotografien halten die Zeit fest, sind aber gleichzeitig zeitlos. Sie verhelfen ihrem Motiv zu einer  Geschichte und lassen es weiter leben, auch wenn dieses längst schon vergangen ist. Die Fotografie hat Schönes noch schöner gemacht und Schlechtes an den Pranger gestellt. Flüchtige Augenblicke werden durch sie verewigt, langwierige Zeiten auf das Wesentliche komprimiert. Fotografie löst Emotionen aus, unabhängig davon, ob man ein Lichtbild entstehen lässt oder es betrachtet. Fotografien lassen uns Dinge beschreiben, die nicht in Worte zu fassen sind. Fotografie ist brutal und liebevoll, rauh und sanft, burschikos und einfühlsam. Fotografien bewahren die Stille des Herzens,  und sie stürzen ganze Dynastien von ihrem Thron. Sie hat sich stetig verändert im Laufe ihrer Existenz, doch eines ist sie bis heute geblieben: Ein Begleiter des Menschen, den man aus seiner Geschichte nicht mehr wegdenken kann.

 

Jedem Fotograf und jedem Betrachter wird damit die verantwortungsvolle Aufgabe zuteil, der Fotografie einen würdevollen Weg in die Zukunft zu bereiten.

   

© Frank Thomas Arnhold, April 2013 (2. Auflage 2015)